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Berichte zum 2. Bauabschnitt

Trinkhallenarchitektur in Bad Wildbad

Geschichte der Trinkhallenarchitektur in Bad Wildbad
im Rahmen der allgemeinen Kurarchitektur in Deutschland

von Dr. Konrad Finke, Bibliotheksdirektor i.R., Bad Wildbad

Die Architektur unserer Trinkhalle, wie wir sie jetzt noch sehen, gehört zu einem Bautypus, der weit ins 19. Jh. zurückreicht. Er steht im Zusammenhang mit der Entwicklung von Kurzentren als Zentren der Gesellschaft.

In den Badeorten des Mittelalters (wie in Bad Wildbad) war trotz deren gesellschaftlicher Bedeutung keine besondere Architektur entstanden. Eine charakteristische Kurarchitektur entwickelte sich erst, als im 18. Jh. – nach dem auch in unserer Stadt spürbaren Niedergang der Badekur im und unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg von 1618/48 –die mit einer Vergnügungsreise verbundene Trinkkur in Mode kam. Diese führte in den Modekurorten dieser Zeit (wie vor allem im niedersächsischen Bad Pyrmont sowie in Schlangenbad bei Wiesbaden) zu steigenden Besucherzahlen. Sie blieb bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jh. vorwiegend eine Domäne der Adelsgesellschaft.

Das gesellschaftliche Zentrum dieser Modekurorte bzw. Modebadestädte war seit dem 18. Jh. –neben den Brunnenstuben – zunächst nur der Fest- oder Ballsaal. Hinzu kamen Kurparkanlagen im Stil englischer Landschaftsgärten. Da die Modekurorte in dieser Zeit in erster Linie zu fürstlichen Sommerresidenzen gehörten, entwickelte sich ein Typus des Saalbaus heraus, der dem Vorbild barocker Adelspaläste verpflichtet war. Ausschließliche Saalbauten waren bis zur Mitte des 18. Jh. allerdings selbst in führenden Modekurorten nur einfache Nutzbauten oder sie wurden in repräsentativen Gebäuden untergebracht, ohne von außen als selbstständige Gebäudetypen erkennbar zu sein.
Den Auftakt des Baus von Kurresidenzen mit – in repräsentative Gebäude integrierten – Festsälen bildete Bad Brückenau, das 1747 durch den Fürstabt von Fulda in der Nähe seines Amtssitzes gegründet worden war. Die Pavillonbauweise kam aus Frankreich und war vom Typus des Lustschlosses König Ludwigs XIV. in Marly entlehnt worden.
Im thüringischen Bad Lauchstädt wurde das 1776-82 vom sächsischen Kurfürsten errichtete Kurensemble erstmals durch einen hölzernen Arkadengang mit anschließenden sog. „Crambuden“ergänzt, wie sie später dann auch in Bad Wildbad neben der Alten Trinkhalle gegenüber dem heutigen Quellenhof entstanden und – nach dem Abriß der Alten Trinkhalle – an der anderen Seite des Kurparkeingangs durch eine Passage mit kleinen Geschäften ersetzt wurden. Damit sollte der Müßiggang der Kurgäste, so die ökonomischen Intentionen der fürstlichen Bauherren, durch Kaufanreize aktiviert und zugleich gesellschaftliche Begegnung gefördert werden.
Nachdem im 18. Jh. auch städtische Schichten des Groß- und Bildungsbürgertums einen Kuraufenthalt in Anspruch nahmen, drängten diese nun ebenso vermehrt nach angemessener Repräsentation, zuerst in Verbindung mit dem Adel, dann aber – zuerst in England und Frankreich –auch durch den Bau von Vergnügungsstätten, die aus der höfischen Schlossarchitektur herausgelöst waren. Sie sind in der Kombination von Gesellschaftshaus, Pavillons und Kolonnaden bereits den später entstehenden Kurhausbauten vergleichbar.
In Deutschland machte sich die Differenzierung höfischer und bürgerlicher Gesellschaftsbauten erst Ende des 18. Jh. mit dem Bau von Opern und Theatern, dann auch von Museumsbauten und Vereinshäusern bemerkbar. Im Rahmen dieser Neuerung entstand um 1800 in den Kurstädten der Typus des Gesellschaftsgebäudes oder „Conversationssaals“, der sich im Laufe des 19. Jh. zum eigentlichen Kurhaus, dem kulturellen Mittelpunkt eines jeden Kur- bzw. Badeortes, entwickelte. Einen entscheidenden Schritt in dieser eigenständigen Richtung hatte der Architekt Christian Zais mit seinen ab 1807 in schärfster Konkurrenz zu Baden- Baden entstandenen Entwürfen zum Kurhaus von Wiesbaden als Saalbau unternommen.
Dabei orientierten sich die neuen Kurhausbauten zunächst an den Grundgedanken des vom antiken Monumentalanspruch geprägten Bautyps des im 16. Jh.  ebenden italienischen Architekten Andrea Palladio.
Kennzeichen dieses Bautyps waren beherrschende Mittelgebäude mit anschließenden Kolonnaden und flankierenden Pavillons.
In kleineren Kurorten wurde ein Saalbereich mit dem eigentlichen Brunnen und einer zugehörigen Wandelhalle kombiniert, erstmals –ungefähr seit 1820 –im westfälischen, damals zu Preußen gehörenden Bad Driburg.
Die spezielle Wandelhalle war als wetterunabhängiger Spazierweg im 19. Jh. parallel zur Passage entstanden, oft vereinigt mit der Brunnenstube.
Erlauben Sie mir hier einige kurze Worte zu Palladio, den wir später auch als ältesten Ahnherrn unserer Trinkhalle von 1934 festmachen können. Er war der wohl Einflussreichste aller westlichen Architekten; seine Werke waren normgebend für die nächstfolgenden Zeiten. 1508 als Sohn eines paduanischen Müllers unter dem Namen Andrea di Pietro geboren, arbeitete er nach einer Maurerlehre in einer Werkstatt in Vicenza, die vor allem monumentale Skulpturenherstellte. In einer Akademie dieser Stadt erhielt er seine erste formale Architekturausbildung und seinen Künstlernamen Palladio. In den 1540er Jahren baute er Palazzi und ländliche Villen für den Adel Vicenzas und war seit 1550 der führende Architekt Venedigs. Nach fast 20 Jahren, im Jahre 1579, kehrte er nach Vicenza zurück, wo er ein Jahr später verstarb.
Als Autor der 1570 herausgegebenen sog. „Vier Bücher der Architektur“wurde Palladio zum Schöpfer einer eigenständigen neuen Architekturdokumentation. Anders als die theoretischen Schriften seines Vorbilds Vitruv aus dem 1. Jh. v.Chr. bietet er hier sogar eine systematische Abhandlung der Architektur buchstäblich von Grund auf.
Sein wichtigstes Architekturmotiv ist die durch zwei Geschosse gehende Kolossalordnung der Säulen. In den Villen ordnet er um einen symmetrischen Kern Flügel für Wirtschaftsgebäude. Damit wird die barocke Schlossanlage und der Bautyp für die Kurgebäude vorbereitet.
Mit der steigenden Anerkennung der Kur nicht nur im gesellschaftlichen, sondern auch im medizinischen Bereich wurden dann die unterschiedlichen Bauaufgaben von Badehaus einerseits sowie von Kurhaus und Trink- bzw.
Wandelhalle andererseits klar getrennt. Aber es wurden auch die Bauaufgaben von Kurhaus und Trink- bzw. Wandelhalle differenziert, d.h. es wurden die Trink- und Wandelhallen aus dem Gesamtverband der Kurhausbauten herausgelöst.
Dadurch kam es zu einer Dreiteilung der Bautypen in der Kurarchitektur in:

  1. Badehaus,
  2. Kurhaus sowie
  3. Trink- und Wandelhalle.

Soweit die finanziellen Mittel für den Bau eines eigenständigen Kurhauses und - bzw. oder - für Trink- und Wandelhallen noch nicht vorhanden waren, mussten andere Gebäude die zentrale gesellschaftliche Funktion übernehmen, –in unserer Stadt war dies zu jener Zeit das Badhotel mit seinem sog. Conversationssaal.
Während sich der palladianische Baugedanke allmählich von den Kurhausbauten zu den Brunnen- bzw. Trink- und Wandelhallen verlagerte, entstand im Bereich des Kurhausbaus ein neuer Typus als Saalbautypus
zunächst im Renaissancestil, erstmals 1827-32 – wiederum in Bad Brückenau – mit zwei vollwertig ausgebauten Geschossen in Pfeiler- oder Säulenarchitektur, wobei der offene Hof eines römischen Renaissancepalastes praktisch überdacht und zum Festsaal umorientiert wurde. Gewisse Anklänge zu diesem Typus, wenn auch in modernisierter Form, zeigt noch heute der große Saal des 1910 eröffneten Kursaalgebäudes in unserer Stadt.Ein Novum bildeten die außen umlaufenden Wandelgänge alswichtige Funktion in der Verbindung des Gebäudes mit der Natur. Auch diesen Baugedanken finden wir an der Außenfassade des Kursaalgebäudes unserer Stadt wieder, nun aber im Zeitgeist des Jugendstils. Als erstes Beispiel von Trink- und Wandelhallen einerseits und von Kurhausbauten andererseits gilt Karl Friedrich Schinkels 1823 errichtete Brunnen- und Wandelhalle in Bad Aachen, das 1815 mit den Rheinprovinzen an Preußen angeschlossen worden war. Es ist das einzige Kurgebäude, das dieser berühmte Berliner Architekt für einen Badeort entworfen hat. Bescheidener war die 1825-30 vom württembergischen Baurat Barth errichtete Wandelhalle in Bad Boll. Auch in Bad Wildbad –und zwar hier auf dem Gelände der Neuen Trinkhalle von 1933-34, wo wir uns gerade befinden – wurde schon frühzeitig, nämlich 1836, an der Stelle eines Schießhauses, möglicherweise nach Plänen des Kreisbauinspektors L. Fischer oder seines Chefs, des württembergischen Hofarchitekten Nikolaus Friedrich von Thouret, ein eigenständiges Aufenthaltsgebäude für Kurgäste, ein sog. Lusthaus, errichtet, das dem Typus der Wandelhalle im palladianischen Stil nahestand und 1933 zugunsten der jetzigen Neuen Trinkhalle abgerissen wurde. Die Verselbstständigung der Bauaufgaben bei den Kurgebäuden sowie bei den Trink- und Wandelhallen ermöglichte dann auch die Neuentwicklung des Typus eines eigentlichen Badehauses, wie ihn dann 1840-47 der soeben genannte Thouret –im klassizistischen Stil mit Formelementen aus Romanik und Frührenaissance –auch in unserer Stadt verwirklicht hat. Mit diesem Neubau des Badehauses (das heutige „Palais Thermal“), ergänzt durch eine zum Kurplatz hin angebaute Trinkhalle, die noch heute erhalten ist, wurde auch in unserer Stadt dem bisher vorrangig der Therapie zugewiesenen Badebereich wieder die Funktion einer gesellschaftlichen Attraktion zugewiesen. Gestatten Sie mir –wegen der seit vielen Jahrhunderten in unserer Stadt bestehenden Badetradition –einige kurze Bemerkungen zu den Anfängen der Badearchitektur in Bad Wildbad. Zum 1904 vor dem heutigen Haus des Gastes entdeckten sog. Urquell, einem Badebecken in einem Schacht von 12 m Tiefe, dessen Eichenholzreste auf Grund moderner dendrochronologischer Messmethoden auf das Hochmittelalter, genauer: auf die Hohenstaufenzeit von 1130- 1185, datiert werden konnten, gehörten zweifellos auch dem Badebetrieb zugeordnete Gebäude.
Auf Grund der Pollenforschung weiß man, dass – wenn auchmit zeitweisen Unterbrechungen nach der Zeitenwende – seit ca. 600 v.Chr., also zur Zeit der Kelten, unser Gebiet zwischen Nagold und Murg zu rund 15-20 %, später zu ca. 30 % aufgelichtet bzw. gerodet war, also zu großen Teilen eine Kulturlandschaft bildete. Es ist daher anzunehmen, dass die warmen Quellen damals nicht unentdeckt waren, sondern bereits in einem Siedlungsgebiet lagen. Da die Enz vermutlich Grenzfluss zwischen den Gebieten der Grafen von Eberstein und Straubenhardt einerseits und andererseits den Grafen von Calw bzw. später von Württemberg war, erklärt das vielleicht auch die Grabung des Urquellschachts. Denn was sonst für einen Sinn macht so ein Schacht, wenn auf der anderen Seite der Enz die warmen Quellen frei aus dem Berg heraustraten? Zwei weitere ma. Daten sind auch für die Baugeschichte unserer Stadt hervorzuheben:

  1. Die Bedeutung des Badeorts Wildbad zur Zeit des Eigentumsübergangs dieses Gebiets (wohl nur rechts der Enz) im Jahre 1345 an die Grafen von Württemberg; denn diese nahmen im Gegenzug bei der Verpfändung von Zavelstein an die Tübinger Pfalzgrafen das zugehörige Wildbad aus.
  2. Der sog. Überfall im Wildbad von 1367, als die Grafen von Eberstein mit Verbündeten versuchten, den württembergischen Grafen Eberhard den Greiner hier gefangenzunehmen.
    Diese Daten legen es nahe, dass in dieser Zeit Baulichkeiten hier vorhanden waren, die den Badeaufenthalt einer fürstlichen Gesellschaft standesgemäß ermöglichten. Nachweisbar sind Badegebäude in Bad Wildbad allerdings erst durch Schilderungen von Gästen aus der Zeit von der Mitte des 15. Jh. bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618, z.B. des Augsburger Kaufmanns Lucas Rem aus der Zeit von 1521-40, als unsere Stadt unstrittig eines der bekanntesten und am meisten besuchten Bäder Deutschlands war. Wegen der später massiven Bauweise der Badegebäude wurden diese bei den großen Stadtbränden des 16.-18. Jh., zuletzt 1742, nur wenig in Mitleidenschaft gezogen, sodass die seitherige, durch unharmonische Erweiterungen bedingte Flickschusterei erst durch den radikalen Neubau des Badegebäudes 1840-47 durch Nikolaus Friedrich von Thouret beendet wurde.

Ein Treffen König Wilhelms I. mit Thouret 1831 in Bad Wildbad hatte hierzu einen wesentlichen Anstoß gegeben. Eine treibende Unterstützung erhielt Thouret –s o etwas darf man auch heute nicht übersehen – durch den damaligenFinanzminister von Herdegen. Aber auch andere glückliche Umstände begünstigten seit den 1830er-Jahren die Durchführung kurspezifischer staatlicher Neubauprojekte in unserer Stadt und zwar der verselbstständigten Typen Badehaus sowie Trink- und Wandelhalle: zunächst der neidvolle Blick auf das 1824 eröffnete neue Konversationshaus in Baden-Baden von Friedrich Weinbrenner (allerdings stand bei den Bad Wildbader Neubauprojekten betont weiter die Therapie im Vordergrund), dann die mißlungene Aufwertung von Bad Boll und Bad Cannstatt (Bad Boll hatte seit 1835 spürbar an Wassermangel zu leiden –was 1852 zum Verkauf Bad Bolls an Pfarrer Johann Christoph Blumhardt führte –; Cannstatt war insbesondere durch seine Lage in einer aufstrebenden Industrieregion benachteiligt), dann ein mitteleuropäischer Bauboom, wissenschaftliche Fortschritte in der Balneologie, die erfolgreiche Erschließung neuer Thermalquellen durch Bohrungen, neue Möglichkeiten der Werbung in vielen neugegründeten Zeitungen und vor allem die im Ansteigen begriffene Reiselust finanzkräftiger Kreise.
Mit dem schon erwähnten „Lusthaus“ –oder sog. Rindenhaus –von 1836 hatte unsere Kurstadt noch vor dem Neubau des Badehauses die erste fassbare kurspezifische Architektur im 19. Jh. erhalten. Die anfangs vollständig offene, 32,5 m lange Pfeilerhalle war mit einem erhöhten Pavillon in der Mitte in Anlehnung an damals schon bestehende Wandelhallenbauten – etwa jenen von Bad Boll aus dem Jahre 1830 – konzipiert worden. Der mittige Pavillon war gegen die Enz halbrund geschlossen. Die schlichten Holzpfeiler und -säulen waren toskanisch stilisiert, der gesamte Bau mit Borken- bzw. Rindenschindeln verkleidet (daher der Name!). Wir haben hier ein noch frühes Beispiel dieses später weit verbreiteten Bautyps vor uns.
Der vor dem Lusthaus befindliche Platz, der nach dem 1864 errichteten Bau des Vaudeville- bzw. Kurtheaters zum sog. Theaterplatz wurde, zählte nach Ausführungen der Badeaufsichtsbehörde im Jahre 1836 zu den schönsten und beliebtesten Plätzen der Stadt. Außer dem Theater wurde er noch durch die englische und die katholische Kirche (1865 bzw. 1871-76), sowie durch einen Musikschirm bzw. später einen Musikpavillon umrahmt und aufwendig gärtnerisch gestaltet, sodass dieses Ensemble –auch nachdem die
Rindenhalle 1934 durch die fast dreimal so lange Neue Trinkhalle ersetzt wurde –einen besonderen Schutz verdient.Der Plan, ein festes Theater zu errichten, beruhte auf der Erfahrung, dass der Konversationssaal im Badhotel für solche Veranstaltungen nicht ausreichte.
Der erste Höhepunkt der Kurgastfrequenzen in den 1860er-Jahren führte nicht nur zum Bau neuer Hotels, sondern zum einen – n Ergänzung zur Trinkhalle am Eberhardsbad und zu den beiden Wandelhallen unter dem Badhotel und im Kurpark – zum Bau der sog. Alten Trinkhalle 1878-79 gegenüber dem heutigen Quellenhof, damals Hotel Bellevue: Als 80 m lange, teilverglaste gusseiserne Trinkund Wandelhalle repräsentierte diese den Stil der im 19. Jh. bewunderten Ingenieurleistungen, und zum anderen führte dieser Höhepunkt der
Kurgastfrequenzen – im nahegelegenen Pfarrgarten – zum Projekt eines zweiten (zunächst ein-, dann zweistöckigen) Badegebäudes, nämlich des König-Karls-Bads, realisiert in drei Baustufen zwischen 1881 und 1906.
Es waren die letzten repräsentativen Neubauten in unserer Stadt. Diese drei neuerbauten Hauptsäulen der Kurarchitektur lagen nunmehr auf der anderen Seite der Enz, nämlich Trink- und Wandelhalle, Badehaus sowie Kur- bzw. Gesellschaftshaus, die zwei letzteren im Badepalast des König-Karls-Bads im streng klassisch
proportionierten Renaissancestil realisiert.
Der zweite Höhepunkt der Kurgastfrequenzen von ca. 1900 bis 1914 –die Gästezahl war von ca. 4.000 jährlich in den 1860er-Jahren nun auf über 20.000 gestiegen (also um über 500 %!) –veranlasste Bauten wie die Gartenund Lesehalle beim Rosarium aus dem Jahre 1900, Umbauten der Trinkhalle und des König-Karls-Bades, den Bau des Olgabades 1907 und vor allem die Eröffnung des bereits genannten neuen Kursaalgebäudes im Jahre 1910. Da erst 1938 wieder der Stand der Kurgastfrequenzen von 1900 erreicht war, wurden zwischen den beiden Weltkriegen außer dem Bau unserer Neuen Trinkhalle 1934, um deren Erhaltung und Sanierung wir uns hier einsetzen, staatlicherseits keine weiteren neuen Kurgebäude mehr errichtet, obwohl zunächst 1919 Pläne für eine Erweiterung des Kursaalgebäudes und dann 1939 für ein neues „Haus des Gastes“vom Kurplatz bis über die König-Karl-Straße auf dem Tisch lagen.
Dass die Alte Trinkhalle nicht schon zwischen den beiden Weltkriegen der Neuen Trinkhalle weichen musste, sondern erst 1959 (und dann ohne vernünftigen Grund) abgerissen wurde, verdankte sie dem Umstand, dass der Bauplatz hochwassergefährdet ist. Baurat Otto Kuhn (1924-37 Präsident der Bauabteilung des Finanzministeriums in Stuttgart) entschied sich wegen der Hochwasserproblematik beim Bau der Neuen (nun heizbaren) Trinkhalle für den Kurtheaterplatz, also an der heutigen Stelle. Er entwarf auch das Bauprogramm und hatte die Oberleitung über die Ausführung. Die Pläne fertigte der Baurat im Finanzministerium Reinhold Schuler. Der Bau wurde nach nur achtmonatiger Bauzeit zur Saison 1934 eröffnet und kostete rund 355.000 RM. Auch bei dieser Neuen Trinkhalle ist der palladianische Baugedanke trotz seiner Versachlichung noch angedeutet:

  • bei der zentralen Wandelhalle ist ein Mittelstück architektonisch hervorgehoben, wenn auch nur in angedeuteter Form;
  • die Fenster sind symbolisch als Seitenflügel beidseitig symmetrisch angeordnet;
  • die Kolonnaden sind als Pfeiler nach innen verlegt;
  • die seitlichen Gebäudeteile „Brunnenhalle“ und „Musiktribüne“liegen symmetrisch dort, wo bei Palladio flankierende Pavillons lagen.

In seiner der Bauhausschule verpflichteten Sachlichkeit entspricht dieser weiterentwickelte Trinkhallentypus dem damals in der Architektur vorherrschenden Zeitgeschmack der Jahre zwischen 1920 und 1933.

Literaturverzeichnis zu diesen Texten
1. Bothe, Rolf (Hrsg.): Kurstädte in Deutschland. Zur Geschichte einer Baugattung.
Berlin: Froelich & Kaufmann 1984. 544 S.
ISBN 3-88725-002-8
2. Constant, Caroline: Der Palladio-Führer. Braunschweig: Vieweg 1988.
147 S.
ISBN 3-528-08724-2
3. Föhl, Thomas Eckard: Wildbad. Die Chronik einer Kurstadt als Baugeschichte.
Neuenbürg: Müller 1988. 383 S.
Zugl. Berlin, Freie Univ., Diss. 1986.
4. Lorenz, Sönke (Hrsg.): Der Nordschwarzwald. Von der Wildnis zur
Wachstumsregion. Filderstadt: Markstein 2001. 240 S.
ISBN 3-935129-01-7
5. Simon, Petra und Margrit Behrens: Badekur und Kurbad. Bauten in deutschen
Bädern 1780 –1920. München: Diederichs 1988. 259 S.
ISBN 3-424-00958-X
Der Forschungsstand von 2006 zur Geschichte der
Kurarchitektur mit besonderem Schwerpunkt auf der
Geschichte der Badehäuser und der Trinkhallenarchitektur ist
enthalten in:
1. Susanne Grötz und Ursula Quecke (Hrsg.): BALNEA. Architekturgeschichte des
Bades. Marburg: Jonas Verlag 2006.
Insbesondere S. 120 und Auswahlbibliographie S. 205.
2. Pohl, Walfried: Die Neue Trinkhalle in Bad Wildbad.
Erschienen in: Der Landkreis Calw. Ein Jahrbuch. Band 24 (2006), S. 105 - 114.